Zusammen mit der Firma archivaria startet das Museum Fram dieses Jahr ein Pilotprojekt mit dem Ziel, die Briefe und Register der Kopierbücher des Benziger Verlags inhaltlich zu erschliessen. Dieser Blogbeitrag von Linus Ruegge und Julia Müller entstand nach ersten spannenden Recherchen.
Bilder, Bilder, Bilder. Wer von einer Bilderflut spricht, denkt wohl an die unsrige, die digitale Zeit. In gewisser Weise waren aber auch schon die Benziger Verleger des 19. Jahrhunderts mit dem Phänomen vertraut. Für die Produktion von Andachtsbildern, Kalendern, Büchern und insbesondere auch des hauseigenen katholischen Unterhaltungs- und Familienblattes «Alte und Neue Welt» brauchten sie schliesslich genau das: Bilder.
Um den wachsenden Bedarf an ansprechenden und aussagekräftigen Illustrationen abzudecken, unterhielt der Verlag ein grosses Netzwerk an Künstlern und Kunsthandwerkern in ganz Europa: Maler, Fotografen, Kupferstecher, Xylo- und Lithografen sowie viele weitere Spezialisten – die männliche Form ist hier korrekt – trugen ihren Teil bei zur katholischen Bilderwelt des Einsiedler Verlags.
Mit ihren Auftragnehmern standen die Benzigers in einem bisweilen regen Briefwechsel, der zumindest teilweise erhalten ist: Von der ausgehenden Korrespondenz hielt das Verlagshaus nämlich einen «Abklatsch» in so genannten Kopierbüchern fest (Abb. 1). Diese Kopierbücher befinden sich heute im Archiv des Museums FRAM und waren Gegenstand eines Pilotprojekts: Im Frühjahr und Sommer 2020 wurden die Register von sechs Kopierbüchern aus der Zeit von 1868 bis 1881 sowie gut 70 Briefe von bekannten Künstlern wie Melchior Paul von Deschwanden oder Carl Offterdinger transkribiert.
Die Register und Briefe zeigen auf, wie der Einsiedler Verlag sein Netzwerk pflegte und stetig erweiterte; und sie erlauben spannende Einblicke in die Produktionsbedingungen der Benziger Bilderwelt. An den Stuttgarter Maler Carl Offterdinger schrieben die Verleger etwa im März 1870, sie bräuchten für die «Alte und Neue Welt» viele Holzschnitte, aber bitte etwas billigere, technisch weniger vollendete. Ein Affront für den arrivierten Offterdinger, dessen Märchenillustrationen noch heute bekannt sind? Keineswegs. Vielmehr entsprach dieses Vorgehen einem eingespielten modus operandi zwischen Benzigers und ihren Künstlern. Die Verleger bestellten Bilder mit teilweise sehr spezifischen Vorstellungen und gaben klare Leitlinien vor, was die Motive anbelangte. Nicht selten lieferten sie auch gleich eine Vorlage mit.
So schickten die Benzigers das Bild eines Eisenbahn-Speisewagens (Abb. 2) nach Stuttgart, das sie in einer amerikanischen Illustrierten gefunden hatten. Sie baten Offterdinger, dieses zu kopieren, aber auch entscheidend abzuändern: «Wir haben vorn an dem Tisch noch ein Mädchen mit langen Haaren angebracht; Statt des Zeitunglesenden Amerikaners wollen Sie möglichst ausdrücklich die Physiognomie eines Juden anbringen. Der aufwartende Neger etwas deutlich, allenfalls etwas weiter vor nehmen. Im Uebrigen halten Sie sich an die amerikanische Zeitung.» (Abb. 3) Wie der im Archiv des Museums erhaltene Holzschnitt zeigt, hielt sich Offterdinger genau an die Anweisungen (Abb. 4).
«Neger», «Juden», «Wilde» und «Trapper», das waren die Figuren, welche die Leserinnen und Leser der «Alten und Neuen Welt» faszinierten, und die vom Benziger Verlag bei seinen Künstlern bestellt wurden. Dabei musste nicht alles neu erfunden werden. Ansprechende Illustrationen aus anderen Zeitschriften wurden in einer analogen Variante des Copy-Paste übernommen und auf die Bedürfnisse der Kundschaft hin zugeschnitten; verschiedene Vorlagen zu neuen «Originalen» vermengt.
Ganz in dieser Manier gaben die Benzigers bei Offterdinger ein weiteres Bild mit Amerikamotiv in Auftrag: Für die Komposition «Abfahrt eines Eisenbahnzuges in Chicago nach Californien» schickten sie zwei Vorlagen und wiederum klare Instruktionen mit. «Statt der beiden amerikanischen Knaben sollen ein paar Negerjungen den Wilden ansehen. Auf dem Bilde II ist ein solcher Negerjunge zu sehen, deßen Costüm beizubehalten wäre.» (Abb. 5) Interessanterweise sind von dieser Illustration sowohl beide Ausgangsbilder (Abb. 6. und 7.) sowie das Endresultat von Offterdinger überliefert (Abb. 8). Finden Sie weitere Unterschiede?
Linus Ruegge und Julia Müller
Karte des Netzwerks des Benziger Verlages um 1870: Jede Markierung entspricht einem Ort, an welchen der Benziger Verlag zwischen dem 15. Dezember 1868 und dem 23. September 1870 einen Brief versandt hat. Leider ist es nicht möglich, mehrere Empfänger an einem Ort auf der Karte darzustellen und zu zeigen, wo die Schwerpunkte dieses Geschäftsnetzes lagen: Es waren grosse Städte wie Frankfurt oder München und nicht etwa Luzern oder Zürich, in welche der Einsiedler Verlag die intensivsten Beziehungen pflegte.
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