Fram-Blog

Aktuellster Blog-Beitrag vom
7. Oktober 2024
Wertvolle Papiere

Heute, da der Handel mit Wertschriften wie Aktien und Obligationen rein digital über Banken abgewickelt wird, gelten die gedruckten Wertpapiere vergangener Jahrhunderte im Börsenhandel als wertlos, als «Nonvaleurs». Noch bis Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie in Papierform ausgestellt und von Hand zu Hand weitergegeben. Die Auszahlung der Dividende erfolgte durch Ausschneiden der Coupons aus dem Papierbogen. Heute sind historische Wertpapiere vor allem wegen ihrer künstlerischen Gestaltung begehrte Sammlerstücke und Schmuckobjekte. Einige der ästhetisch anspruchsvollsten Aktienzertifikate entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Dass der Benziger Verlag auch historische Wertpapiere gedruckt hat, ist vielleicht weniger bekannt. Leider befinden sich keine gedruckten Exemplare im Archiv des Museums Fram. Erhalten sind jedoch einige Entwurfszeichnungen, die zur Herstellung von Wertpapieren dienten und als Druckvorlagen an Lithografen weitergegeben wurden. Die bis ins kleinste Detail gestalteten Blätter waren nicht nur reine Finanzdokumente, sondern auch kunstvolle Werbeträger, die nicht zuletzt das Vertrauen in die Handelsgesellschaften stärken sollten.

Weitere historische Wertpapiere, die künstlerisch gestaltet wurden, sind derzeit in der kürzlich eröffneten Sonderausstellung «kunst.macht.geld» im Schweizer Finanzmuseum in Zürich zu sehen.

Die letzte Ausstellung ist abgebaut, die Vitrinen sind weggestellt, die Exponate wieder aufgeräumt. Der Raum im Museum Fram steht erneut leer, und trotzdem lebt das Archiv, das sich bei uns im Keller befindet, weiter. Denn immer wieder erreichen uns Anfragen aus aller Welt. Erstaunlich, was alles gefragt und gesucht wird.

Der Monsignore

Mit dem Porträt von Papst Pius X. des Malers Giorgio Szoldatits (1873-1955) konnten wir einen Monsignore aus dem Vatikan beglücken. Er stammt aus derselben italienischen Stadt –Treviso – wie Papst Pius X. (1835-1914). Seit über zwanzig Jahren hatte er das originale Ölbild gesucht, das dem Benziger Verlag als Druckvorlage für Bilder diente. Bei seinen Recherchen gelangte er an das Kloster Einsiedeln, das ihn schliesslich an das Museum Fram verwies. Hier befindet sich das Werk noch heute. Wir haben es im Jahr 2017 in der Ausstellung «Benziger. Der Weltverlag im Klosterdorf» gezeigt. Wie glücklich war der Monsignore – und zudem erleichtert, als die Antwort auf Italienisch erfolgte; so müsse er nicht mehr die Schweizergardisten stören, um Mails auf Deutsch zu übersetzen, sagte er. Jedes Mal, wenn wir jetzt im Archiv zufällig etwas über Papst Pius X. finden, wie zum Beispiel die Korrespondenz zwischen Maler und Verlag, kontaktieren wir den Monsignore, und er freut sich immer riesig. Leider hat er Covid-bedingt einen Besuch verschieben müssen. Wer weiss, vielleicht findet er doch noch einmal den Weg nach Einsiedeln.

Die Hexe

Jedes Mal freut man sich, nicht nur den Interessenten zu helfen, sondern auch selbst etwas Neues zu lernen, etwas zu entdecken, sich als Detektiv zu fühlen. Denn tatsächlich sind die Recherchen nicht immer einfach. Oft müssen viele Bücher, Dokumente, Blätter und Bilder gesichtet werden. Auf der Suche nach einer Hexe, zum Beispiel, für eine nette Dame. Diese hatte Ende der 1970er Jahre ihren Kindern immer eine Geschichte aus der Monatszeitschrift «Ehe Familie» des Benziger Verlages vorgelesen. Weil ihre Kinder damals diese Geschichte liebten, wollte sie diese auch ihren Enkelkindern vorlesen. Leider wusste die nette Dame nur noch, dass die Hexe in der Geschichte «Gurriburrli» hiess. Entschlossen, sie zu finden, blätterten wir Jahrgänge um Jahrgänge der Zeitschrift durch, bis das «Häxli Gurriburrli» im Heft Nr. 4 aus dem Jahr 1975 doch noch zum Vorschein kam!! Der korrekte Titel der Erzählung war «Dr Räuber Zwickzwack». Stolz konnten wir die gescannte Seite an die glückliche Grossmutter schicken.

Die kinderreiche Mutter

Immer wieder dienen Bilder oder Dokumente der Sammlung für Publikationen und Forschung. Und immer wieder sitzen Recherchierende bei uns im Atelier und durchforsten Materialien aus unserem Archiv. Sebastian Brändli und seine Schwester Esther Scheidegger fanden bei uns im Archiv die vielen Texte, die ihre Mutter Cécile Brändli-Probst als Autorin in den 1950er und 1960er Jahren in der Zeitschrift «Die Familie» des Benziger Verlages publiziert hatte. Daraus entstand das Buch «Von den Freuden der kinderreichen Familie», das im Februar 2020 als Auswahl von Kurzgeschichten im Limmat Verlag erschienen ist. Seine Erfahrungen mit uns hat Herr Brändli in einem Blog-Beitrag erzählt.

Die Wissenschaftler

Für den Katalog der Ausstellung «Nach der Natur» in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur vom Oktober 2021 bis Januar 2022 kam dem Fotografiehistoriker Martin Gasser eine Illustration aus dem Sammelband «Original-Holzschnitte weltlich für Alte und Neue Welt, etc.» zu Gute. Er war froh, ein bildliches Dokument zu haben, das die Anfänge der Fotografie im 19. Jahrhundert in der Schweiz belegt: Auf dem Holzschnitt ist ein frühes Fotoatelier zu sehen.

Oft werden die Quellen des Archives für Dissertationen aus den verschiedensten Gebieten konsultiert. Dass eine Illustration aus dem Sachbuch «Felszeichnungen in den Alpen» des Benziger Verlages von 1984 für die Urgeschichtsforschung von Interesse ist, haben wir durch eine Anfrage eines Doktoranden der Universität Tübingen erfahren.

Das Namensrätsel

Und manchmal gibt es auch glückliche Verkettungen. So recherchierte ein Landschaftsarchitekt und Doktorand der ETH in Zürich verschiedentlich bei uns in der Fram über die Landschaft um den Sihlsee. Dank verschieden Briefen und Dokumenten konnte er nebenbei eine ein paar Tage zuvor bei uns eingegangene Anfrage aus Einsiedeln zumindest teilweise beantworten. Der Doktorand fand nämlich den Nachnamen eines Künstlers heraus, der bis dato nur als Kürzel bekannt war. Das war ein weiterer Glücksmoment – ganz nach dem Serendipity-Prinzip*! Plötzlich hatte R.W., dessen Sihlsee-Bild in der Zeitschrift «Einsiedler Kalender» von 1901 abgedruckt ist, den Nachnamen Wydler. Er wurde im «Künstler-Copierbuch» Nr.83 aus dem Jahr 1900 von Benziger als «Zeichner» erwähnt. Vielleicht finden wir noch heraus, wie er mit Vornamen hiess.

Erstaunlich ist auch, woher all diese Anfragen kommen: Kürzlich schickten wir die gescannten Seiten eines Musik-Artikels mit dem Titel «Die Kunst der Fuge. Paralipomena zu einer Aufführung» aus der Zeitschrift «Schweizerische Rundschau» aus dem Jahr 1928 nach Spanien, zwei gescannte Benziger-Kataloge nach Österreich und eine Reproduktion einer Chromolithografie ins Tessin.

Der Seppli

Über spontane Besuche können wir uns auch immer wieder freuen. Zehn Minuten nach dem Telefonat stand eine sympathische Nostalgikerin aus Einsiedeln an der Tür, mit dem Wunsch das Gedichtlein «vom Seppli, wo wott go Fischli fange», das sie als Kind in der dritten Klasse so grossartig fand, wieder einmal zu lesen. So gingen wir zusammen ins Depot, um auf gut Glück das Schulbuch der dritten Klasse zu finden. Zum Glück erkannte unsere Besucherin relativ schnell das Titelbild des Buches, das der Benziger Verlag im Jahr 1939 herausgab. Erinnerungen wurden wieder lebendig!

Leider finden wir nicht bei allen Anfragen das Gesuchte. Doch offengebliebene Recherchen werden notiert. Und weil die Sammlung fortlaufend weiter inventarisiert wird, kommen auch immer mehr spannende Geschichten ans Licht.

 

Die Sammlung steht allen Interessierten offen. Scans und Reproduktionen von Text- und Bildmaterial stellen wir gegen eine faire Aufwandentschädigung gerne zur Verfügung. Ausleihe sind nur im Rahmen eines musealen Leihverkehrs möglich. Nach Vereinbarung können die gewünschten Dokumente vor Ort eingesehen werden.

Bei Fragen und für Termine schreiben Sie uns eine E-Mail an: archiv@fram-einsiedeln.ch

 

* Englisch serendipity, Deutsch Serendipität, laut Duden: (Prinzip der) Zufälligkeit einer ursprünglich nicht angestrebten, aber bedeutenden Entdeckung; auch die zufällige Entdeckung selbst.

 

Buchcover «Matthias»

 

«Der doppelte Matthias und seine Töchter»

Im Zürcher Chronos Verlag ist 2021 der Roman «Der doppelte Matthias und seine Töchter» von Meinrad Lienert neu herausgekommen. Es handelt sich um den 57. Band in der Reihe «Schweizer Texte» mit einem Nachwort des Germanisten Lukas Künzler sowie Angaben zu Leben und Werk des Einsiedler Schriftstellers.

Meinrad Lienert veröffentlichte den Roman 1929 im Alter von 64 Jahren, nachdem er sich mit seinen Gedichten und Erzählungen oder den «Schweizer Sagen und Heldenge­schichten» längst einen Namen gemacht hatte.

Lukas Künzler bezeichnet den Roman in seinem Nachwort als «Brautschaugeschichte unter umgekehrten Geschlechter­vorzeichen». Die fünf eigenwilligen Töchter «wehren nicht nur schmalbrüstige Verehrer ab, sondern mit ver­einten Kräften auch andere Eindringlinge, die es wagen, die Marken des Ruschegghofes zu übertreten», finden dann aber doch – und sei es dank eines Kuhhandels wie bei Judith – ihren Mann fürs Leben.

Eigenwil­lig ist auch ihr verwitweter Vater Matthias Stump. Der Herausgeber erkennt in dieser Figur Parallelen zu Meinrad Lienert, der sich «als Liberaler im konservativen Einsiedeln bisweilen ausgegrenzt» vorgekommen sei und vielleicht deshalb ein «Feingefühl für die Kehr- und Schattenseiten der menschlichen Existenz» ent­wickelt habe.

Meinrad Lienert-CD

«Plangliedli, Lanzigliedli, Herbstliedli, Heiwehliedli»

Nicht weniger als 500 Gedichte von Meinrad Lienert wurden von Komponisten und Komponistinnen im Lauf der Jahrzehnte vertont. Die Sopranistin Sybille Diethelm und Fabienne Romer am Klavier haben während des ersten Corona-Lockdowns 30 solcher Kunstlieder im Studio aufgenommen und sie unter dem Titel «Plangliedli, Lanzigliedli, Herbstliedli, Heiwehliedli» herausgebracht. Die CD kann bei uns im Museum, das über eine umfangreiche Meinrad Lienert-Sammlung verfügt, gekauft werden.

Tourismusplakat «Einsiedeln. Zentralschweiz, Suisse Centrale, Central Switzerland, 900 – 1600 m»
24. Juni 2021
Der Verkehrsverein Einsiedeln und sein Nachlass

Dani Meienberg

Die Stiftung Kulturerbe Einsiedeln hat im September 2020 den Nachlass des Verkehrsvereins Einsiedeln (VVE) erhalten. Unterdessen konnte dieser aufgearbeitet und katalogisiert werden. Dani Meienberg hat einen roten Faden in die Fülle der unterschiedlichen Archivalien gebracht. 

Zum 125-jährigen Bestehen des VVE (1881–2006) verfasste Gerhard Oswald, damals Chefredaktor des Einsiedler Anzeigers, eine Festschrift mit dem etwas kryptischen Titel «Die Vergangenheit der Zukunft», in der er viele Themen rund um den VVE aus der Tiefe des Archivs ans Tageslicht brachte.

Als ich mit meiner Arbeit begann, bestand der Nachlass des VVE aus drei grösseren Kartonschachteln, gefüllt mit Schnellheftern, Ordnern, Plastikmäppchen, daneben gebundenen Protokoll-Büchern und anderen Archivalien, in denen die Geschichte des VVE lagerte, sowie einigen Schachteln mit Restexemplaren von Oswalds Festschrift. Mit dem Buch hatte ich einen ersten Ansatzpunkt, einen roten Faden, mit dem ich eine vorläufige Ordnung in den Nachlass bringen konnte.  Diese konnte ich in verschiedenen Durchgängen immer weiter verfeinern, sodass am Schluss folgende Archivordnung vorhanden war: Administratives, Archivalien mit Bezugspunkt Einsiedeln, solche zur Lokalgeschichte Einsiedeln, weitere zur Standortförderung Einsiedeln und schliesslich Archivalien mit Bezügen zur Wallfahrt und zum Kloster.

«Einsiedler sind Krämer und Händler»: Linus Birchler (1893-1967) über Einsiedeln 

Krämer und Händler seien die Einsiedler, mit einem ganz eigenen Gemüt, meinte Linus Birchler. Von ihm, der im Nachlass des VVE stark vertreten ist, erscheint das Bild eines sehr umtriebigen Menschen, der stets mit seiner Heimat verbunden war. Sein grosses Netzwerk und seine vielfältigen Interessen zeigen sich in ganz vielen Projekten, die er entweder selber initiierte oder als Mitstreiter begleitete: Seien es der Bau der Jugendkirche Einsiedeln in den 1920er bis 1940er-Jahren, die 400-Jahr-Todesfeier von Paracelsus 1941 oder 1942 die Gründung der Schweizerischen Paracelsus-Gesellschaft, die mit so illustren Mitgliedern wie C.G. Jung auftrumpfen konnte.

Einsiedeln strahlt in die Welt hinaus 

Auffallend bei vielen Dokumenten im Nachlass ist die Ausstrahlung, die Einsiedeln im 20. Jahrhundert weit über die Schweiz hinaus hatte. Es befinden sich Zeitungsauschnitte aus verschiedenen Emigranten-Zeitungen aus Amerika, die über den Bau des Sihlsees berichten oder über die Aufführungen des Welttheaters vor der imposanten Kulisse des Klosters.

Man liest von Spannungen in Einsiedeln in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, über die sogenannte «Gnädinger-Affäre», bei der der deutsche Hotelier des Freihofs seine Begeisterung für den Nationalsozialismus offen auslebte und dabei eine Menge Zwietracht säte, daneben beste Beziehungen nach Deutschland pflegte, wodurch er erfolgreich die Werbetrommel für Einsiedeln und das entstehende Etzelwerk rühren konnte. In der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden die Hilfeleistungen für befreundete Wallfahrts-Organisatoren in Süddeutschland beschrieben.

Ab den 1950er-Jahren wurden die grossen Pilgerzüge schleichend vom Individualverkehr abgelöst, was wiederum neue Probleme mit sich brachte: Die Pilger waren nun zunehmend Tagestouristen und blieben nicht mehr so lange in Einsiedeln wie ehedem, was folglich auch die Hotels und Restaurants zu spüren bekamen.

Mekka des Langlaufsports

Ein grosser wirtschaftlicher Faktor wurde dafür der Wintersport. Im Schlepptau grosser Erfolge von sportlichen Aushängeschildern – man denke an die Langlauf-Silbermedaille von Wisel Kälin an den olympischen Winterspielen 1968 in Grenoble – nahmen grössere Projekte ihren Anfang: Die Langlauf-Loipe «Schwedentritt» beispielsweise besteht seit Anfang der 1970er-Jahre. Einsiedeln war auch Teil der Zürcher Bewerbung für die olympischen Winterspiele 1976, die schliesslich an Innsbruck vergeben wurden. Das Skigebiet im Hoch-Ybrig war damals im Aufbau begriffen, und wäre Stätte für die nordischen Disziplinen gewesen.

Der Besuch des Papstes glückt im zweiten Anlauf 

Einen grossen Raum in den Unterlagen nimmt der Besuch von Johannes Paul II. ein, der für 1981 geplant gewesen war, aufgrund des Attentats auf den Papst am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz in Rom aber erst 1984 zustande kam. Akribisch lässt sich die gesamte Organisation des Besuchs nachvollziehen – und im Gästebuch die Originalunterschrift des Papstes bewundern.

In der Nachberichterstattung des Besuchs erfährt man einiges über die erfolgreiche Organisation des Anlasses. Abgesehen von der Aussage eines Journalisten, der sich über seine Beherbergung im «weit entfernten» Euthal beschwert hatte und von «Korruption» bei der Zimmerverteilung sprach, ist nichts Negatives über den Besuch in den Archivalien zu finden.

Eine japanische Delegation in Willerzell und ein Samurai-Helm 

Dieser Samurai-Helm ist wahrscheinlich das auffälligste Stück im Nachlass. Er ist mit ziemlicher Sicherheit ein Replikat und wohl das Geschenk einer japanischen Delegation, die im Mai 1987 in Einsiedeln weilte. Zumindest führte das Verkehrsbüro am 14. Mai 1987 unzählige Telefonate, um gemäss Auskunft von Landschreiber Patrick Schönbächler einer japanischen Versicherungsgesellschaft die Bewilligung für einen Filmdreh auf dem Willerzeller Viadukt zu beschaffen.

Wo sind die Protokoll-Bücher der Jahre 1945–1960? 

Diese Frage stellte sich auch schon Max Fuchs, ehemaliger Präsident des VVE, im Juli 2008. Bei der Aufarbeitung des Nachlasses konnte ich diese Frage nicht lösen. Vielleicht liegen sie unerkannt irgendwo in einer Schublade?

Am Ende werden immer mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet werden können. Dies liegt in der Natur der Sache und macht die Aufarbeitung eines Nachlasses spannend. So gibt es auch im Nachlass des Verkehrsvereins Einsiedeln noch viele lose Enden, die aufgenommen werden könnten.

 

Dani Meienberg aus Einsiedeln studierte Germanistik und Geschichte in Zürich und arbeitet heute als Online Manager an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Einsiedeln und seiner Geschichte blieb er auf vielfältige Weise stets verbunden. Für das Museum Fram bearbeitete er den Nachlass des Verkehrsvereins.

 

Evelyne Marty

Im Juni 2020 durfte ich im Museum Fram eine Stelle als wissenschaftliche Projekt-Mitarbeiterin antreten. Meine Aufgabe besteht darin, einen Teil des Bildarchivs des Benziger Verlags zu inventarisieren.*

Das Material war zumeist bereits in Archivschachteln fachgerecht gelagert und vorsortiert; viele Schachteln wurden jedoch seit ihrer Ankunft im Archiv des Museums Fram vor über zehn Jahren nicht mehr geöffnet und bargen spannende Überraschungen. In ihnen verstecken sich unglaublich viele hochwertige Druckerzeugnisse des Einsiedler Verlags aus der Zeit zwischen etwa 1870 und 1920.

Mehrere Tausend Bilder

Zur Einordnung des Umfangs: Mich erwarteten nicht weniger als 183 Archivschachteln mit jeweils bis zu zehn Mappen (oder sogenannten «Farbheften») zu einem oder mehreren Bildmotiven, die wiederum mehrere Originale und Drucke in verschiedenen Stufen der Produktion bis zur finalen Version enthalten. Insgesamt handelt es sich also um mehrere Tausend Bilder, die es zu scannen und zu inventarisieren gilt.

Meist ist das Endprodukt in den einzelnen Mappen eine Chromolithografie. Die Firma Benziger übernahm die Technik der Chromolithografie, die es erstmals ermöglichte, farbige Bilder industriell und in grossen Auflagen herzustellen um 1870. In der Schweiz war sie die erste Druckerei, die mit lithografischen Schnellpressen arbeitete.

Nackter Engel über Maria

Ich war ganz überrascht, wie akribisch der Benziger Verlag sein Bildarchiv führte. Schön sortiert findet man die einzelnen Arbeitsschritte und Variationen eines einzelnen Bildmotivs: Bleistiftzeichnungen, Stahlstiche, Aquarelle und Collagen, Lichtdrucke, Klatsche und ein- und mehrfarbige Lithografien (siehe Galerie Beispiel 1). Selbst Probedrucke mit den Notizen zu gewünschten Korrekturen wurden aufbewahrt. Auf einer ersten Version des Bildes «La Madre Santisima de la Luz», das für den lateinamerikanischen Markt produziert wurde, sehen wir über einem schwebenden Engel die feine Bleistift-Notiz «verboten» – Man kann hierzu die Vermutung anstellen, dass der sichtbare Po des Engels vielleicht zu freizügig war und man daher eine zweite Version anfertigte (siehe Galerie Beispiel 2).

Transkribus: Handschriften lesen leicht gemacht

Immer wieder finden sich auch interessante Korrespondenzen mit Künstlern. Da mir die Handschriften des 19. Jahrhunderts zu Beginn nicht geläufig waren, probierte ich ein neues Tool aus: Es heisst Transkribus, erkennt alte Handschriften automatisch und setzt sie direkt in digitale Texte um. Am Beispiel eines Briefs des Einsiedler Mönchs und Kunsthistorikers Albert Kuhn, der mit Benziger eng zusammenarbeitete, sieht man, wie gut das Programm Texte bereits beim ersten Versuch transkribiert (siehe Galerie Beispiele 3 und 4). So kann man ohne grosse Entzifferungs-Arbeit schnell lesen, was Albert Kuhn an den Bildern, die ihm zur Beurteilung geschickt wurden, auszusetzen hatte…

Motive: Blumenkränze neben Fegefeuer und Weinetiketten

Inhaltlich finden sich in den Farbheften neben den typischen Andachtsbildern, Blumenkränzen und Sinnsprüchen auch ungewöhnliche, seltene Motive: Sie zeigen das Fegefeuer, wilde Tiere, feurige Monster oder brennende Schwerter – das inhaltliche Spektrum des Benziger Verlags war weit grösser, als man auf den ersten Blick erwarten würde! (siehe Galerie Beispiele 2 sowie 5–10) Neben religiösen Motiven gibt es immer wieder auch ganz profane Bilder zu entdecken: Entwürfe zu Wappen, zu einer Weinetikette oder eine aufwändig gestaltete Einladungskarte zu einer Hochzeit (siehe Galerie Beispiele 11–12).

Die tollen Motive und die Qualität der angefertigten Zeichnungen beeindrucken mich immer wieder aufs Neue. Ich freue mich schon auf weitere Entdeckungen!

 

Evelyne Marty aus Einsiedeln ist Masterstudentin der Ägyptologie und Archäologie an der Universität Basel und seit 2020 wissenschaftliche Projekt-Mitarbeiterin im Museum Fram.

 * Die Inventarisierungsarbeiten finden im Projekt «Bildarchiv Benziger+» (2020–2021) statt, in dessen Rahmen unter anderem ein Teil des Bildarchivs digitalisiert wird und die bestehenden Sammlungs-Kataloge in der webbasierte Software Artplus zusammengeführt und im Frühling 2021 online publiziert werden. Das Projekt wird vom Lotteriefonds des Kantons Schwyz mit 80 000 Franken unterstützt.

 

8. April 2021
Hans Küng und der mutige Benziger Verlag

Der am 6. April 2021 im Alter von 93 Jahren verstorbene Schweizer Theologe bringt es im Katalog des Benziger Verlags auf nicht weniger als 172 Einträge. Seit Mitte der 60er Jahre war er Herausgeber oder Mitherausgeber von drei Zeitschriften. Und 1970 provozierte er die Kirche mit dem Buch «Unfehlbar? Eine Anfrage».

Hans Küng wurde 1928 in Sursee geboren, 1954 zum Priester geweiht und wirkte ab 1960 als Professor an der Universität Tübingen. Er schrieb zahlreiche Bücher, in denen er sich nicht nur mit Gott und dem Christsein auseinandersetzte, sondern auch mit der Kirche. Oder ganz gezielt mit dem Papsttum. Den Ausgangspunkt für «Unfehlbar? Eine Anfrage» beschreibt Küng in seiner «Kleinen Geschichte der katholischen Kirche» so:

«1870 verkündet Pius IX. gegen zahlreiche Proteste das Dogma der Unfehlbarkeit bei seinen eigenen feierlichen lehramtlichen Entscheidungen. Diese feierlichen (‚ex cathedra’) Entscheide sind auf Grund eines besonderen Beistands des Heiligen Geistes unfehlbar und aus sich selber, nicht aber kraft der Zustimmung der Kirche, unabänderlich.»

Schon 1854, im gleichen Jahrzehnt, in dem Charles Darwin seine Evolutionstheorie veröffentlichte, habe Pius IX. «jenes seltsame Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens» verkündet, «worüber man in der Bibel und in der katholischen Tradition des erstens Jahrtausends kein Wort findet und das im Lichte der Evolutionstheorie auch kaum einen Sinn hat.» Als berühmtes Beispiel für ein Dogma auf dem Hintergrund der Unfehlbarkeit erwähnt Küng dann Papst Pius XII., der 1950 die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel verkündet hat. Das Fass zum Überlaufen bringt bei ihm aber die Enzyklika «Humanae vitae» von Papst Paul VI., «die nicht nur Pille und mechanische Mittel, sondern auch die Unterbrechung des Geschlechtsverkehrs zur Empfängnisverhütung als schwere Sünde verbieten will.» Diese Enzyklika ist für Hans Küng der Anlass, 1970 das Buch «Unfehlbar? Eine Anfrage» zu schreiben. Im Vorwort dazu beruft er sich auf das Konzil:

«Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollte Erneuerung der katholischen Kirche ist ins Stocken geraten. Dies ist fünf Jahre nach Abschluss des Vatikanum II nicht mehr zu übersehen. Und es wäre unklug und schädlich, es in Kirche und Theologie zu verschweigen. Vielmehr dürfte nach langen nachkonziliaren Jahren des geduldigen, aber vergeblichen Wartens heute eine offenere und deutlichere Sprache angebracht sein, damit der Ernst der Lage sichtbar wird und die Verantwortlichen vielleicht aufhorchen.»

Kein anderes Buch habe er in einem so rasanten Tempo verfasst wie «Unfehlbar? Eine Anfrage», rühmt sich der Theologe 2007 in seinen Erinnerungen unter dem Titel «Umstrittene Wahrheit»:

«Am 16. Mai 1970, unmittelbar vor Pfingsten, ist das Manuskript fertig. Pünktlich zum 100. Jahrestag der Unfehlbarkeitsdefinition des Ersten Vatikanischen Konzils am 18. Juli 1970 wird es vom katholischen Benziger Verlag auf den Markt gebracht und entwickelt sich sofort zum Bestseller. Buchstäblich einschlägig mein Titel: ‚Unfehlbar?‘ Wichtig aber auch der Untertitel, oft nicht mitbedacht: ‚Eine Anfrage‘. Dieser Terminus der Parlamentssprache (Interpellation) besagt ein Auskunftsersuchen an die Regierung. Das ist ehrlich gemeint: Ich will nicht eine feststehende, indiskutable dogmatische These präsentieren. Wohl aber will ich in Kirche und Gesellschaft eine ernsthafte Diskussion anstossen und die Kirchenleitung offen zu einer theologisch überzeugenden Antwort herausfordern.»

Dass dieses aufmüpfige Buch bei Benziger herauskam, ist einem Einsiedler zu verdanken, der damals den theologischen Bereich des Verlags leitete und so bedeutende Theologen wie Hans Urs von Balthasar, Magnus Löhrer (Kloster Einsiedeln), Karl Rahner, Herbert Haag oder Hans Küng verlegte. Noch Jahrzehnte später schwärmt der Autor von seinem Verleger und der Aufmachung des Buches:

«Auffällig gestaltet der Umschlag, eine Idee meines Schweizer Verlegers Dr. Oscar Bettschart, Chef des Benziger Verlags, eines tapferen konziliar denkenden Katholiken: auf schwarz glänzendem Grund oben gross in weiss das Wort ‚Unfehlbar‘ und unten klein mein Name, dazwischen mehr als viermal so gross wie ‚Unfehlbar‘ ein riesiges poppiges Fragezeichen in Pink. Dass dieses Fragezeichen schon überdeutlich sagt, worum es geht, liegt nicht an mir, sondern an der Problematik, die in der Luft liegt.»

Das Buch löst eine riesige Diskussion aus, die Küng in seinen Erinnerungen genau dokumentiert. Er hatte gehofft, damit etwas zu einer konstruktiven Entwicklung innerhalb der Kirche und einer breiteren Akzeptanz beitragen zu können. Das Werk kommt in immer wieder neuen Auflagen heraus. 20 Jahre später zum Beispiel als Taschenbuch mit einem abgeänderten Untertitel: «Unfehlbar? Eine unerledigte Anfrage». Die Anfrage war allerdings schon kurz nach der ersten Publikation unerledigt, die Interpellation blieb unbeantwortet, Küng hatte offensichtlich zu viel erwartet:

«Ob man also in Rom und im Episkopat, denke ich 1970, nach anfänglichem begreiflichem Schock angesichts eines so gut dokumentierten Buches nicht einsehen wird, wieviel die katholische Kirche an Glaubwürdigkeit gewänne, wenn sie ehrlich zu ihren Irrtümern stehen und sie korrigieren würde? Und da nun die Enzyklika ‘Humanae vitae’ selbst innerhalb der katholischen Kirche grösstenteils abgelehnt wird und unwiderlegbar gezeigt hat, in welche Schwierigkeiten sich eine ‘unfehlbare’ und daher korrekturunfähige Kirche bringt, könnte man doch eine selbstkritische Besinnung erwarten.»

Eine selbstkritische Besinnung ist in Rom aber nicht vorgesehen. Stattdessen verkündet im August 1971, ein Jahr nach der Publikation des Buches, der Osservatore Romano:  «Untersuchung gegen Küng eingeleitet.»

Der Schweizer Theologe stand schon seit den 50er Jahren unter verschärfter Beobachtung der Glaubenskongregation. Die Verfahren, die in den 70er Jahren gegen ihn liefen, wurden aber eingestellt. Oder anders gesagt: Rom beschränkte sich auf Rügen und Erklärungen gegen sogenannte Irrtümer. Gerügt und kritisiert wird Küng auch von Theologen, die sich zum Teil von ihm distanzieren, wie überraschenderweise auch Karl Rahner. Dieser gibt 1971 ein Buch heraus mit dem Titel «Zum Problem Unfehlbarkeit. Antworten auf die Anfrage von Hans Küng.» Küng kontert zwei Jahre später mit einem Folgeband zu «Unfehlbar?»:

«Im Januar 1973 erscheint schliesslich, wieder im mutigen Benziger Verlag, das imposante Opus unter dem Titel: ‘Fehlbar? Eine Bilanz’. 525 Seiten umfasst es, 16 Beiträge hochqualifizierter Fachgelehrter zur biblischen, historischen, gesellschaftlichen und theologischen Problematik, davon auf rund 190 Seiten meine persönliche Bilanz, die auf alle wichtigen und auch auf weniger wichtige Fragen der Auseinandersetzung genauestens eingeht.»

Der Konflikt der Kirche mit Hans Küng schwelt weiter, und 1979 schlägt die Deutsche Bischofskonferenz zu: Sie entzieht ihm die kirchliche Lehrerlaubnis, die missio canonica. Küng sieht das als Reaktion auf seine Kritik am Dogma der Unfehlbarkeit. Im dritten Band seiner Erinnerungen «Erlebte Menschlichkeit» denkt er 2013 an diese Zeit zurück:

«Der Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis unmittelbar vor dem Weihnachtsfest 1979 war für mich eine zutiefst deprimierende Erfahrung. Doch bedeutete sie zugleich den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Ich konnte eine ganze Reihe neuer Themen in den Blick nehmen, die nicht nur die Kirche, sondern die Menschheit bewegen: Frau und Christentum, Theologie und Literatur, Religion und Musik, Religion und Naturwissenschaft, den Dialog der Religionen und Kulturen, den Beitrag der Religionen für den Weltfrieden und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Menschheits- oder Weltethos.»

Trotz der «zutiefst deprimierenden Erfahrung» zieht Hans Küng im Rückblick eine positive Bilanz. An den Anfang des Buches setzt er diese Erinnerung:

«Das Leben geht weiter – aber wie!? So hatte ich mich vor drei Jahrzehnten nach den dunkelsten Wochen meines Lebens selber gefragt. Und kann es heute in einem Wort sagen: besser als damals vorauszusehen!»