Fram-Blog
7. Oktober 2024
Heute, da der Handel mit Wertschriften wie Aktien und Obligationen rein digital über Banken abgewickelt wird, gelten die gedruckten Wertpapiere vergangener Jahrhunderte im Börsenhandel als wertlos, als «Nonvaleurs». Noch bis Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie in Papierform ausgestellt und von Hand zu Hand weitergegeben. Die Auszahlung der Dividende erfolgte durch Ausschneiden der Coupons aus dem Papierbogen. Heute sind historische Wertpapiere vor allem wegen ihrer künstlerischen Gestaltung begehrte Sammlerstücke und Schmuckobjekte. Einige der ästhetisch anspruchsvollsten Aktienzertifikate entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Dass der Benziger Verlag auch historische Wertpapiere gedruckt hat, ist vielleicht weniger bekannt. Leider befinden sich keine gedruckten Exemplare im Archiv des Museums Fram. Erhalten sind jedoch einige Entwurfszeichnungen, die zur Herstellung von Wertpapieren dienten und als Druckvorlagen an Lithografen weitergegeben wurden. Die bis ins kleinste Detail gestalteten Blätter waren nicht nur reine Finanzdokumente, sondern auch kunstvolle Werbeträger, die nicht zuletzt das Vertrauen in die Handelsgesellschaften stärken sollten.
Weitere historische Wertpapiere, die künstlerisch gestaltet wurden, sind derzeit in der kürzlich eröffneten Sonderausstellung «kunst.macht.geld» im Schweizer Finanzmuseum in Zürich zu sehen.
Der Kulturverein SchwyzKulturPlus hat vor ein paar Wochen das Projekt «kulturON» lanciert. Es bietet den Kulturschaffenden im Kanton Schwyz die Möglichkeit, auf diesem Webportal ihre Werke zu präsentieren und sie bei Bedarf auch zum Kauf anzubieten. Die Arbeiten müssen allerdings ein vorgegebenes Thema gestalten. Die Projektgruppe hat sich für das «Dazwischen» entschieden.
Parallel zu dieser Aktion dreht Franz Kälin Videos mit Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Kunstgattungen. In diesem Rahmen ist auch ein kurzes Porträt des Museums Fram als Kulturinstitution entstanden:
Es gibt kaum etwas, das der Einsiedler Drogist Karl Hensler-Kälin, verstorben am 8. Januar 2021, nicht sammelte. Was sein Vater Karl Hensler-Ochsner (1887-1975) begonnen hatte, führte er ein Leben lang weiter. Seit 2007 befindet sich ein grosser Teil dieses Sammelguts im Museum Fram. Es ist eine Fundgrube von historischen Objekten und schriftlichen Zeugnissen des gesellschaftlichen und religiösen Lebens im Wallfahrtsort Einsiedeln.
Neben Stichen, Lithografien, Liederbüchern, Notenblättern oder Ansichtskarten umfasst die Sammlung «Einsiedlensia» sämtliche Ausgaben des Einsiedler Anzeigers von 1863 bis 2006, dann Zeitschriften und Jahresberichte, Behördenverzeichnisse und Grundbuchpläne. Vereinsschriften und Vereinsfotos erinnern an Organisationen, die es heute noch gibt, oder solche, die wir nicht einmal mehr vom Hörensagen her kennen. Die Pfadi gehört zur ersten Kategorie, der katholische Jünglingsverein zur zweiten.
Die Akten zur «Wädensweil-Einsiedeln-Bahn», die ihren Betrieb 1877 aufnahm, und die Schriften zum Etzelwerk dokumentieren den technischen Fortschritt. Aus dem Jahr 1873 stammt das Buch «Über die rationelle Benutzung der Wasserkräfte vermittelst eines neuen Apparates zur Transmission derselben». Erst gut 60 Jahre später lieferte der Sihlsee zum ersten Mal Strom.
Das Dorfleben wird in der Sammlung von Karl Hensler etwa mit Trachten und Uniformen illustriert, ferner mit einer Unzahl an Plakaten – von den Maskenbällen an der Fasnacht bis zu den Konzerten im Fismo. Einsiedler Persönlichkeiten und Mönche aus dem Kloster sind mit ihren Dissertationen vertreten, P. Rupert Ruhstaller zum Beispiel mit seinen «Methodologischen Untersuchungen über den Bau des griechischen Satzes», die er erst 1967 im Alter von 50 Jahren einreichte.
Zeugen des klösterlichen und kirchlichen Lebens sind in der Sammlung prominent vertreten. Ab 1905 erschien in der Verlagsanstalt Waldstatt das «Pilgerbüchlein. Wegweiser und Begleiter der Pilger nach Maria Einsiedeln.» Drucke aus der Klosterdruckerei gehen bis ins Jahr 1664 zurück. Wesentlich jünger sind die sogenannten Klosterarbeiten mit Reliquien, wie wir sie in unserer Ausstellung «Globale Lokalgeschichten» (2018/2019) zeigen konnten. In der Sammlung von Karl Hensler befindet sich eine reiche Auswahl an Devotionalien, darunter allein 250 Rosenkränze. Da nehmen sich die «2 Dachziegel des Klosterdachs, datiert 1728» zahlenmässig geradezu bescheiden aus.
Wie kam der Tellen-Kari, wie wir ihn nannten, zu kostbaren Gegenständen und seltenen Schriftstücken? Ein Inventar, in dem «Modells zur Fabrikation von Einsiedler Schafböcken im Gebrauch bei Hugo Kürzi-Knobel» erfasst sind, gibt eine mögliche Antwort: «Durch Tausch eines älteren Kinderautos gegen obige Modells gingen die Modells an Karl Hensler, zum Tell, über.» Natürlich war Kari auch auf Sammlerbörsen anzutreffen. Und wenn in Einsiedeln Häuser abgebrochen und Geschäfte oder Gastbetriebe aufgegeben oder umgebaut wurden, war er zur Stelle und rettete, was zu retten war. Etwa die historischen Schilder der Wirtshäuser «Storchen» oder «Zur Glocke».
All die Gegenstände und Dokumente seiner Sammlung wären nicht halb so interessant, wenn wir nichts über sie wüssten. Kari hat sie in langen Listen und auf ausführlichen Zetteln fein säuberlich dokumentiert, wobei er sich dabei auf sein immenses Wissen über die Geschichte, Kultur und Mentalität der von ihm geliebten Region Einsiedeln verlassen konnte. Noch bis vor Kurzem brachte er neue Trouvaillen persönlich im Museum Fram vorbei und lieferte als guter Erzähler die Anekdoten dazu gleich mit.
Wer am 15. Dezember 1950 den «Schweizerischen Beobachter» aufschlug, konnte Folgendes lesen: «Der Beobachter hat dem jungen Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt, dessen Stücke in Zürich und Basel starke Beachtung gefunden haben und der zu grossen Hoffnungen berechtigt, den Auftrag gegeben, einen schweizerischen Kriminalroman zu schreiben.» Wie heute noch, kam der «Beobachter» alle vierzehn Tage heraus, und «Der Richter und sein Henker» erschien in Fortsetzungen. Einfach sei die Zusammenarbeit mit dem eher chaotischen Dürrenmatt nicht gewesen. Der Kulturredaktor der Zeitschrift sei mehr als einmal nach Ligerz am Bielersee gepilgert, um die weiteren Kapitel abzuholen. Auch beim Krimi «Der Verdacht», den Dürrenmatt ein Jahr später für den «Beobachter» schrieb, tat er sich nicht leicht mit diesem Auftrag: «Hier die versprochenen Kapitel. Ich kam diese Woche wieder nicht recht zur Arbeit. Die Krankheit meiner Frau, die überdies noch erwartet, zwang mich die Tätigkeit einer Hausfrau zu übernehmen, endlich ist Hilfe gekommen, und nun kann ich die Mord-und-Totschlag-Geschichte weiterspinnen.»
Schreiben zum Lebensunterhalt
Ende der 40er-Jahre war Dürrenmatt bereits mit Stücken wie «Es steht geschrieben» oder «Romulus der Grosse» auf den Theaterbühnen präsent. Um Geld zu verdienen schrieb er aber auch Hörspiele fürs Radio, Drehbücher für den Film, Texte für das legendäre «Cabaret Cornichon» und Theaterkritiken für die «Weltwoche». Er habe sich mehr verzetteln müssen als heute, erinnerte er sich 1973 in einem Gespräch. Und mit Blick auf alle diese Arbeiten meinte er: «Was für herrliche Ideen einem einfallen, wenn man Geld braucht!»
Die Tatsache, dass ein Kriminalroman, der später weltberühmt wurde, ursprünglich in einer Zeitschrift als Fortsetzungsroman erschienen war, würdigt der emeritierte Literaturprofessor Peter von Matt in seinem Buch «Die tintenblauen Eidgenossen» 50 Jahre später so: «Der Erzähler Dürrenmatt begann als Volksschriftsteller, in einer Zeitschrift, einem Heftli. Mit dessen Verbreitung verglichen, waren die ersten Theateraufführungen zahlenmässig eine Randerscheinung. Der ‘Beobachter’ lag damals auf jedem Familientisch. Weder Max Frisch noch Robert Walser hätten je für ein Heftli geschrieben, Friedrich Glauser schon. Die Heftli waren sogar Glausers eigentliches Medium.»
Der Dichter in wilden Wehen
Der «Beobachter» bot Dürrenmatt für seinen ersten Krimi 3000 Franken. Dies hat die Zeitschrift vor 18 Jahren geschrieben, als sie an den Abdruck des Romans erinnerte. Der Autor selber sagte in einem Gespräch 1977, er habe für «Der Richter und sein Henker» nur 1000 Franken bekommen, für «Der Verdacht» dann das Doppelte. Für diesen zweiten Krimi entschied sich der «Beobachter», weil der erste bei den Leserinnen und Lesern «lebhaften Applaus» ausgelöst habe. Auch den zweiten Fortsetzungsroman schrieb Dürrenmatt unter erschwerten Bedingungen. Ein Brief an den Arche Verlag zeugt davon:
«Da es mir den ganzen Sommer über reichlich schlecht ging, bis ich endlich mit einem wunderschönen Koma ins Spital eingeliefert wurde und nun fleissig Insulin spritze, mich im übrigen über meine Tochter freue, die mir gleichzeitig meine Frau geboren; da ich des weiteren ohne einen Rappen Geld und mit vielen ungeduldigen Verlegern dasitze, die sich mit Recht über mich sehr ärgern, oder besser über meinen armseligen Geist, der langsam wie eine Kröte arbeitet, so dass nicht einmal der Roman im ‚Beobachter’ fertig gestellt werden konnte – da dies nun einmal so ist, entschuldigen Sie, lieber Herr Schifferli, dass Sie warten mussten und nehmen Sie die jämmerlichen Fragmente in Empfang, mit denen ich mich dieses Jahr herumschlug, in der Absicht, Werke zu gebären: Es waren wilde Wehen. Herzlichst Dürrenmatt.»
Der Coup des Benziger Verlags
Peter Schifferli war der Verleger des 1944 gegründeten Arche Verlags, in dem von Dürrenmatt 1952 der Erzählband «Die Stadt» erschien. Er hätte damals auch die beiden Heftli-Romane herausgeben können. Am Schluss des vorher zitierten Briefes fügte Dürrenmatt nämlich ein wichtiges PS an: «Benziger interessiert sich auch für die Beobachterromane, aber Sie haben selbstverständlich das Vorfahrtsrecht.» Dieses «Vorfahrtsrecht» nahm der Verleger nicht in Anspruch und überliess die finanziell erfolgreichsten Bücher Dürrenmatts dem Benziger Verlag. Diesen führte damals Gustav Keckeis, der Vater des Lektors und späteren Verlagsleiters Peter Keckeis. Mögliche Erklärungen für den Verzicht des Arche Verlags liefert Ulrich Weber in seiner kürzlich bei Diogenes erschienenen Dürrenmatt-Biografie: «Dass Schifferli nicht in der Lage gewesen sei, ihm einen Vorschuss dafür zu zahlen, den er dringend benötigt habe (wie sich Dürrenmatt 1973 erinnert), ist wohl nur die halbe Wahrheit – die andere Hälfte, dass Schifferli damals nicht viel vom Genre des Kriminalromans hielt, das kaum literarisches Prestige vermittelte.»
Peter von Matt teilt diese Sicht der Dinge: «Es scheint, dass die Verlage nicht viel auf den Roman des neuen Heftli-Schreibers Friedrich Dürrenmatt gaben. Die Buchausgabe erschien erst zwei Jahre später – 1952 – bei Benziger in Einsiedeln. Was auch merkwürdig war – der monumentale Protestant in dem sehr katholischen Verlag. Von den zwei Einsiedler Jünglingen Daniel Keel und Rudolf Bettschart wusste Dürrenmatt damals noch nichts. Er konnte nicht ahnen, dass sie ihn als Diogenes-Verleger Jahrzehnte später aus der schwersten Schaffenskrise seines Lebens retten und ins literarische Rampenlicht zurückholen würden.»
Der Erfolg bleibt in der Familie
Die Gesamtauflage der Beobachter-Krimis umfasst inzwischen mehr als 6 Millionen Exemplare weltweit. Seit 1978 sind die Rechte beim Diogenes Verlag. Ruedi Bettschart hat sie damals seinem Cousin Oscar Bettschart, Direktor des Benziger Verlags, abgekauft – mit einer «verhandlungstechnischen Glanzleistung», wie es in der Verlagschronik des Diogenes Verlags heisst. Ein Jahr später wechselte Dürrenmatt mit all seinen – auch den noch nicht geschriebenen – Werken zu Diogenes. «Wotsch du mi?», fragte er Daniel Keel, den andern der beiden «Einsiedler Jünglinge», und dieser wollte.
«Der Richter und sein Henker» wurde mehrfach verfilmt und ist in vielen Schulen Pflichtstoff. Dürrenmatt hat das offenbar nicht nur als angenehm empfunden. 1985 klagte er in einem Gespräch mit dem Literaturkenner und Journalisten Fritz J. Raddatz: «Ich habe immer das Gefühl, ‘falsch’ berühmt zu sein – durch den ‘Richter und sein Henker’, durch die ‘Alte Dame’, durch ‘Die Physiker’ –, dass das, was ich sonst geschrieben habe, nicht zählt, und darunter gibt es Stücke und Prosa, die ich für wichtiger und besser halte als meine Evergreens.»
Zusammen mit der Firma archivaria startet das Museum Fram dieses Jahr ein Pilotprojekt mit dem Ziel, die Briefe und Register der Kopierbücher des Benziger Verlags inhaltlich zu erschliessen. Dieser Blogbeitrag von Linus Ruegge und Julia Müller entstand nach ersten spannenden Recherchen.
Bilder, Bilder, Bilder. Wer von einer Bilderflut spricht, denkt wohl an die unsrige, die digitale Zeit. In gewisser Weise waren aber auch schon die Benziger Verleger des 19. Jahrhunderts mit dem Phänomen vertraut. Für die Produktion von Andachtsbildern, Kalendern, Büchern und insbesondere auch des hauseigenen katholischen Unterhaltungs- und Familienblattes «Alte und Neue Welt» brauchten sie schliesslich genau das: Bilder.
Um den wachsenden Bedarf an ansprechenden und aussagekräftigen Illustrationen abzudecken, unterhielt der Verlag ein grosses Netzwerk an Künstlern und Kunsthandwerkern in ganz Europa: Maler, Fotografen, Kupferstecher, Xylo- und Lithografen sowie viele weitere Spezialisten – die männliche Form ist hier korrekt – trugen ihren Teil bei zur katholischen Bilderwelt des Einsiedler Verlags.
Mit ihren Auftragnehmern standen die Benzigers in einem bisweilen regen Briefwechsel, der zumindest teilweise erhalten ist: Von der ausgehenden Korrespondenz hielt das Verlagshaus nämlich einen «Abklatsch» in so genannten Kopierbüchern fest (Abb. 1). Diese Kopierbücher befinden sich heute im Archiv des Museums FRAM und waren Gegenstand eines Pilotprojekts: Im Frühjahr und Sommer 2020 wurden die Register von sechs Kopierbüchern aus der Zeit von 1868 bis 1881 sowie gut 70 Briefe von bekannten Künstlern wie Melchior Paul von Deschwanden oder Carl Offterdinger transkribiert.
Die Register und Briefe zeigen auf, wie der Einsiedler Verlag sein Netzwerk pflegte und stetig erweiterte; und sie erlauben spannende Einblicke in die Produktionsbedingungen der Benziger Bilderwelt. An den Stuttgarter Maler Carl Offterdinger schrieben die Verleger etwa im März 1870, sie bräuchten für die «Alte und Neue Welt» viele Holzschnitte, aber bitte etwas billigere, technisch weniger vollendete. Ein Affront für den arrivierten Offterdinger, dessen Märchenillustrationen noch heute bekannt sind? Keineswegs. Vielmehr entsprach dieses Vorgehen einem eingespielten modus operandi zwischen Benzigers und ihren Künstlern. Die Verleger bestellten Bilder mit teilweise sehr spezifischen Vorstellungen und gaben klare Leitlinien vor, was die Motive anbelangte. Nicht selten lieferten sie auch gleich eine Vorlage mit.
So schickten die Benzigers das Bild eines Eisenbahn-Speisewagens (Abb. 2) nach Stuttgart, das sie in einer amerikanischen Illustrierten gefunden hatten. Sie baten Offterdinger, dieses zu kopieren, aber auch entscheidend abzuändern: «Wir haben vorn an dem Tisch noch ein Mädchen mit langen Haaren angebracht; Statt des Zeitunglesenden Amerikaners wollen Sie möglichst ausdrücklich die Physiognomie eines Juden anbringen. Der aufwartende Neger etwas deutlich, allenfalls etwas weiter vor nehmen. Im Uebrigen halten Sie sich an die amerikanische Zeitung.» (Abb. 3) Wie der im Archiv des Museums erhaltene Holzschnitt zeigt, hielt sich Offterdinger genau an die Anweisungen (Abb. 4).
«Neger», «Juden», «Wilde» und «Trapper», das waren die Figuren, welche die Leserinnen und Leser der «Alten und Neuen Welt» faszinierten, und die vom Benziger Verlag bei seinen Künstlern bestellt wurden. Dabei musste nicht alles neu erfunden werden. Ansprechende Illustrationen aus anderen Zeitschriften wurden in einer analogen Variante des Copy-Paste übernommen und auf die Bedürfnisse der Kundschaft hin zugeschnitten; verschiedene Vorlagen zu neuen «Originalen» vermengt.
Ganz in dieser Manier gaben die Benzigers bei Offterdinger ein weiteres Bild mit Amerikamotiv in Auftrag: Für die Komposition «Abfahrt eines Eisenbahnzuges in Chicago nach Californien» schickten sie zwei Vorlagen und wiederum klare Instruktionen mit. «Statt der beiden amerikanischen Knaben sollen ein paar Negerjungen den Wilden ansehen. Auf dem Bilde II ist ein solcher Negerjunge zu sehen, deßen Costüm beizubehalten wäre.» (Abb. 5) Interessanterweise sind von dieser Illustration sowohl beide Ausgangsbilder (Abb. 6. und 7.) sowie das Endresultat von Offterdinger überliefert (Abb. 8). Finden Sie weitere Unterschiede?
Linus Ruegge und Julia Müller
Karte des Netzwerks des Benziger Verlages um 1870: Jede Markierung entspricht einem Ort, an welchen der Benziger Verlag zwischen dem 15. Dezember 1868 und dem 23. September 1870 einen Brief versandt hat. Leider ist es nicht möglich, mehrere Empfänger an einem Ort auf der Karte darzustellen und zu zeigen, wo die Schwerpunkte dieses Geschäftsnetzes lagen: Es waren grosse Städte wie Frankfurt oder München und nicht etwa Luzern oder Zürich, in welche der Einsiedler Verlag die intensivsten Beziehungen pflegte.
Auf den Spuren ihrer Mutter Cécile Brändli-Probst gelangten Sebastian Brändli und seine Schwester Esther Scheidegger an unser Archiv und fanden hier die vielen Texte, die sie einst in der Zeitschrift «Die Familie» des Benziger Verlages in den 1950er und 1960er Jahren publiziert hatte. Das Ergebnis ist das Buch «Von den Freuden der kinderreichen Familie», das im Februar 2020 als Auswahl von Kurzgeschichten im Limmat Verlag erschienen ist.
In einem persönlichen Rückblick erinnert sich Sebastian Brändli an seine Mutter und die Verbindung der Familie zu Einsiedeln:
Eine Familie mit neun Kindern mitten im Zürich der 1960er Jahre! Die Mutter der neun Kinder – Cécile Brändli, geborene Probst – hatte 1945 ihren Ehemann, Emil Rudolf Brändli, einen Mathematiker ETH, geheiratet. Die Kinder kamen zwischen 1946 und 1963 zur Welt. Im Jahre 2008 starb Cécile nach einer Phase schwerer Demenz.
Cécile Brändli-Probst war meine Mutter. 1919 in Baden als Cäcilia geboren, wuchs sie in Dietikon ZH auf. Dort betrieb ihre Mutter, unsere Grossmutter Anna, den «Konsum», den Lebensmittelladen an der Bergstrasse. Der Vater waltete als Zahlmeister (heute wäre das der Finanzchef) der Weberei in der Damsau an der Limmat (Gemeinde Neuenhof). Cécile war die Älteste von fünf Geschwistern. Sie wäre gerne Lehrerin geworden, doch musste sie wegen des frühen Todes ihrer Mutter die Ausbildung in Menzingen ZG abbrechen.
Selbstverständlich wurde unsere Mutter mit jeder Geburt noch etwas mehr Mutter. Was wäre ihr anderes übrig geblieben? Doch vom Ziel einer ausserhalb der Familie berufstätigen Frau, die sie mit den Berufszielen Primarlehrerin oder Journalistin verband, blieb zeitlebens, dass Cécile der Sprache und dem Schreiben verbunden war. So kann erklärt werden, dass die vielbeschäftigte Mutter und Leiterin eines grossen Haushalts sich noch Zeit für das Schreiben von Artikeln abstehlen konnte. Es gelang nämlich der Schriftleiterin der «Familie», der Familienzeitschrift des Benziger Verlages, sie für zahlreiche Berichte und Kurzgeschichten aus dem Familienleben der katholischen Grossfamilie zu gewinnen. In den Jahren zwischen 1953 und 1964 entstanden so über 150 Texte, die aus Anlass ihres 100jährigen Geburtstages zu Teilen im Limmat Verlag nochmals herausgegeben wurden. Titel: Von den Freuden der kinderreichen Familie.
Mit Einsiedeln war die Zürcher Grossfamilie neben dem Benziger Verlag auch durch gute Freunde der Eltern verbunden. So war der legendäre Apotheker Alois Bettschart von der Engel-Apotheke ein guter Freund unseres Vaters. Es ist wohl auf Alois zurückzuführen, dass auch wir Kinder fast alle Grasberge der Innerschweiz in zahllosen Bergtouren erklommen hatten. Auch wussten wir über die Frauen- und die Silbermänteli bestens Bescheid, für die der Botaniker Bettschart seine Bergkollegen bei Alpbesuch und Bergbesteigung begeistert hatte. Dank Bettschart gelang es uns auch, anfangs der 1960er Jahre mit fast der ganzen Familie eine Aufführung des Einsiedler Welttheaters zu besuchen: ein bleibendes Erlebnis! Wir hatten dank Alois ausgezeichnete Plätze, doch für mich, den kleinen Jungen, blieb die Handlung des Stücks leider unverständlich – jedenfalls kann ich mich vor allem an die abendliche Stimmung und die starke Szenographie auf dem Platz erinnern. Neben Alois bildeten auch Einsiedler Freundinnen der Mutter Verbindungen zum Klosterdorf. Zu erwähnen ist zudem, dass Linus Birchler, der Einsiedler Kunsthistoriker, in diesem Sinne wirkte, war er doch ein verehrter Lehrer unseres Vaters am Poly. Wir hatten schnell gelernt, dass Einsiedeln gleich Barock ist – auch wenn uns die schwarze Madonna wohl noch mehr Eindruck gemacht hatte.
Einsiedeln war schliesslich ein wichtiger Ort für uns Herausgeber der Texte unserer Mutter. Im Fram fanden wir alle Ausgaben der «Familie», und konnten so unsere Artikel-Sammlung vervollständigen. Und gleichzeitig auch den Charme des Klosterdorfes ein weiteres Mal geniessen! Das gerettete Benziger-Archiv ist ein Schatz! Vielen Dank für die gute Betreuung!
Sebastian Brändli, *1955, promovierter Historiker UZH, bis Mai 2020 Amtschef Zürcher Hochschulamt. Zahlreiche Publikationen.
Cécile Brändli-Probst
Von den Freuden der kinderreichen Familie
Herausgegeben von Esther Scheidegger, Kristov Brändli, Sebastian Brändli / Mit einem Geleitwort von Judith Stamm, 144 Seiten, Klappenbroschur, Fotos. Februar 2020. SFr. 26.–, 26.– €