Dani Meienberg
Die Stiftung Kulturerbe Einsiedeln hat im September 2020 den Nachlass des Verkehrsvereins Einsiedeln (VVE) erhalten. Unterdessen konnte dieser aufgearbeitet und katalogisiert werden. Dani Meienberg hat einen roten Faden in die Fülle der unterschiedlichen Archivalien gebracht.
Zum 125-jährigen Bestehen des VVE (1881–2006) verfasste Gerhard Oswald, damals Chefredaktor des Einsiedler Anzeigers, eine Festschrift mit dem etwas kryptischen Titel «Die Vergangenheit der Zukunft», in der er viele Themen rund um den VVE aus der Tiefe des Archivs ans Tageslicht brachte.
Als ich mit meiner Arbeit begann, bestand der Nachlass des VVE aus drei grösseren Kartonschachteln, gefüllt mit Schnellheftern, Ordnern, Plastikmäppchen, daneben gebundenen Protokoll-Büchern und anderen Archivalien, in denen die Geschichte des VVE lagerte, sowie einigen Schachteln mit Restexemplaren von Oswalds Festschrift. Mit dem Buch hatte ich einen ersten Ansatzpunkt, einen roten Faden, mit dem ich eine vorläufige Ordnung in den Nachlass bringen konnte. Diese konnte ich in verschiedenen Durchgängen immer weiter verfeinern, sodass am Schluss folgende Archivordnung vorhanden war: Administratives, Archivalien mit Bezugspunkt Einsiedeln, solche zur Lokalgeschichte Einsiedeln, weitere zur Standortförderung Einsiedeln und schliesslich Archivalien mit Bezügen zur Wallfahrt und zum Kloster.
«Einsiedler sind Krämer und Händler»: Linus Birchler (1893-1967) über Einsiedeln
Krämer und Händler seien die Einsiedler, mit einem ganz eigenen Gemüt, meinte Linus Birchler. Von ihm, der im Nachlass des VVE stark vertreten ist, erscheint das Bild eines sehr umtriebigen Menschen, der stets mit seiner Heimat verbunden war. Sein grosses Netzwerk und seine vielfältigen Interessen zeigen sich in ganz vielen Projekten, die er entweder selber initiierte oder als Mitstreiter begleitete: Seien es der Bau der Jugendkirche Einsiedeln in den 1920er bis 1940er-Jahren, die 400-Jahr-Todesfeier von Paracelsus 1941 oder 1942 die Gründung der Schweizerischen Paracelsus-Gesellschaft, die mit so illustren Mitgliedern wie C.G. Jung auftrumpfen konnte.
Einsiedeln strahlt in die Welt hinaus
Auffallend bei vielen Dokumenten im Nachlass ist die Ausstrahlung, die Einsiedeln im 20. Jahrhundert weit über die Schweiz hinaus hatte. Es befinden sich Zeitungsauschnitte aus verschiedenen Emigranten-Zeitungen aus Amerika, die über den Bau des Sihlsees berichten oder über die Aufführungen des Welttheaters vor der imposanten Kulisse des Klosters.
Man liest von Spannungen in Einsiedeln in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, über die sogenannte «Gnädinger-Affäre», bei der der deutsche Hotelier des Freihofs seine Begeisterung für den Nationalsozialismus offen auslebte und dabei eine Menge Zwietracht säte, daneben beste Beziehungen nach Deutschland pflegte, wodurch er erfolgreich die Werbetrommel für Einsiedeln und das entstehende Etzelwerk rühren konnte. In der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden die Hilfeleistungen für befreundete Wallfahrts-Organisatoren in Süddeutschland beschrieben.
Ab den 1950er-Jahren wurden die grossen Pilgerzüge schleichend vom Individualverkehr abgelöst, was wiederum neue Probleme mit sich brachte: Die Pilger waren nun zunehmend Tagestouristen und blieben nicht mehr so lange in Einsiedeln wie ehedem, was folglich auch die Hotels und Restaurants zu spüren bekamen.
Mekka des Langlaufsports
Ein grosser wirtschaftlicher Faktor wurde dafür der Wintersport. Im Schlepptau grosser Erfolge von sportlichen Aushängeschildern – man denke an die Langlauf-Silbermedaille von Wisel Kälin an den olympischen Winterspielen 1968 in Grenoble – nahmen grössere Projekte ihren Anfang: Die Langlauf-Loipe «Schwedentritt» beispielsweise besteht seit Anfang der 1970er-Jahre. Einsiedeln war auch Teil der Zürcher Bewerbung für die olympischen Winterspiele 1976, die schliesslich an Innsbruck vergeben wurden. Das Skigebiet im Hoch-Ybrig war damals im Aufbau begriffen, und wäre Stätte für die nordischen Disziplinen gewesen.
Der Besuch des Papstes glückt im zweiten Anlauf
Einen grossen Raum in den Unterlagen nimmt der Besuch von Johannes Paul II. ein, der für 1981 geplant gewesen war, aufgrund des Attentats auf den Papst am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz in Rom aber erst 1984 zustande kam. Akribisch lässt sich die gesamte Organisation des Besuchs nachvollziehen – und im Gästebuch die Originalunterschrift des Papstes bewundern.
In der Nachberichterstattung des Besuchs erfährt man einiges über die erfolgreiche Organisation des Anlasses. Abgesehen von der Aussage eines Journalisten, der sich über seine Beherbergung im «weit entfernten» Euthal beschwert hatte und von «Korruption» bei der Zimmerverteilung sprach, ist nichts Negatives über den Besuch in den Archivalien zu finden.
Eine japanische Delegation in Willerzell und ein Samurai-Helm
Dieser Samurai-Helm ist wahrscheinlich das auffälligste Stück im Nachlass. Er ist mit ziemlicher Sicherheit ein Replikat und wohl das Geschenk einer japanischen Delegation, die im Mai 1987 in Einsiedeln weilte. Zumindest führte das Verkehrsbüro am 14. Mai 1987 unzählige Telefonate, um gemäss Auskunft von Landschreiber Patrick Schönbächler einer japanischen Versicherungsgesellschaft die Bewilligung für einen Filmdreh auf dem Willerzeller Viadukt zu beschaffen.
Wo sind die Protokoll-Bücher der Jahre 1945–1960?
Diese Frage stellte sich auch schon Max Fuchs, ehemaliger Präsident des VVE, im Juli 2008. Bei der Aufarbeitung des Nachlasses konnte ich diese Frage nicht lösen. Vielleicht liegen sie unerkannt irgendwo in einer Schublade?
Am Ende werden immer mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet werden können. Dies liegt in der Natur der Sache und macht die Aufarbeitung eines Nachlasses spannend. So gibt es auch im Nachlass des Verkehrsvereins Einsiedeln noch viele lose Enden, die aufgenommen werden könnten.
Dani Meienberg aus Einsiedeln studierte Germanistik und Geschichte in Zürich und arbeitet heute als Online Manager an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Einsiedeln und seiner Geschichte blieb er auf vielfältige Weise stets verbunden. Für das Museum Fram bearbeitete er den Nachlass des Verkehrsvereins.
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